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Die Anschläge vom 11. September 2001 erschütterten die Welt – und leiteten ein neues Zeitalter ein. Ob der Kampf gegen den Terrorismus je zu Ende sein wird, weiß niemand. Ebenso unklar ist, ob der Westen noch bereit ist, diesen Kampf zu führen
Selten hat ein historisches Ereignis den Anbruch eines neuen Zeitalters so deutlich markiert wie „Nine/Eleven“. Als in den (nach US-Zeit) Morgenstunden des 11. September 2001 zwei Verkehrsflugzeuge in die „Twin Towers“ des World Trade Centers in New York und anschließend eine Maschine in das Washingtoner Pentagon gelenkt wurden sowie ein weiteres Flugzeug bei Shanksville (Pennsylvania) abstürzte, verfolgten Milliarden Zuschauer weltweit live an den Bildschirmen, wie die größte Militärmacht der Geschichte in ihrem Herzen angegriffen wurde. Vor allem der Anblick der beiden brennenden und bald darauf einstürzenden New Yorker Zwillingstürme prägte sich in das kollektive Gedächtnis der Weltgemeinschaft, aber auch jedes Einzelnen ein, der die Ereignisse damals mitverfolgte.
Eine neue Qualität der Kriegsführung
Neu war jedoch nicht nur die Sichtbarkeit des Geschehens, sondern auch die Ausführung der Anschläge – und die dahinterstehende Einstellung der Attentäter. Waren bis dato die Feldherren aller Kriege darauf bedacht, möglichst wenig Truppen zu opfern, um die eigene Kampfkraft zu erhalten, waren hier junge Männer bereit, als erste Kampfhandlung sich selbst zu töten, um möglichst viele feindliche Opfer mit in den Abgrund zu reißen.
Eine weitere neue Qualität war, dass hier ein Krieg stattfand, den zuvor niemand erklärt hatte. Ein Krieg ohne Anfang – und demzufolge ein Krieg ohne Ende. Sowie ein Krieg ohne erkennbare Kombattanten, angezettelt von der Terrororganisation „al-Qaida“ (deutsch: „die Basis“), die sich eher als Ideengeber für den weltweiten Dschihad verstand und die weltweite Gemeinschaft der Muslime dazu aufrief, ihr nachzueifern. Somit auch ein Krieg, in dem noch nicht einmal klar war, wer und wo der Feind ist. Die freundlichen jungen arabischen Männer, die neben einem im Flugzeug saßen, konnten harmlose Reisende sein – oder plötzlich zu Mördern werden. Oder auch zu Opfer des nächsten Anschlages. Die Selbstmordattentäter und die Drahtzieher im Hintergrund nahmen jedenfalls keine Rücksicht darauf, wen sie mit in den Tod rissen, ob Christ, Jude, Atheist – oder Muslim.
Trotz dieser unklaren Umstände ließen sich die angegriffenen US-Amerikaner in den Krieg ziehen. Am 20. September 2001 proklamierte US-Präsident George W. Bush vor dem Kongress den „Krieg gegen den Terror“ („War on Terror“), der zunächst gegen al-Qaida geführt werden und solange dauern sollte, „bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist“. Bereits am 12. September hatten die NATO-Staaten – erst- und bislang einmalig – den Bündnisfall ausgerufen.
„Krieg gegen den Terror“
Am 7. Oktober 2001 begann die Operation „Enduring Freedom“ („Dauerhafte Freiheit“) gegen al-Qaida, die unter dem Taliban-Regime in Afghanistan ihre Heimatbasis hatte. Weitere Einsatzgebiete waren das Horn von Afrika (Somalia), die Sahara-Region und der Süden der Arabischen Halbinsel (Jemen). Schnell gelang es den Amerikanern und ihren Verbündeten, al-Qaida und Taliban am Hindukusch zurückzudrängen – vernichtend zu schlagen vermochten sie diese nicht. Vielmehr konnten sich wichtige Terrorfürsten wie al-Qaida-Gründer Osama bin Laden und Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar absetzen und weiter Unheil stiften.
Im Zuge von „Enduring Freedom“ aktualisierten die USA auch ihre Liste der „State Sponsors of Terrorism“, der staatlichen Unterstützer des Terrorismus, denen ebenfalls Vergeltungsmaßnahmen angedroht wurden.
Damit freilich begannen die Irr- und Abwege der amerikanischen Kriegsführung. Denn in den Fokus der USA gerieten nun auch der Irak Saddam Husseins und der Iran der Mullahs, die nichts mit den Terroranschlägen in New York und Washington zu tun hatten, mit denen die Amerikaner jedoch noch alte Rechnungen offen hatten. Mit angeblichen Beweisen – die sich schon bald als Fälschung erwiesen – für einen Terroranschlag des Iraks mit Massenvernichtungswaffen versuchte Washington, ein Mandat der Vereinten Nationen für den Sturz des Hussein-Regimes zu bekommen. Als dieses verweigert wurde, schlug die USA im März 2003 mit einer „Koalition der Willigen“ zu. Binnen weniger Wochen war das Regime am Tigris gestürzt, sodass Präsident Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger „USS Abraham Lincoln“ vor der Welt die Botschaft „Mission Accomplished“ („Mission erfüllt“) verkündete.
Trotz der militärischen Erfolge gab es keinen Frieden. Die dezentrale Struktur der islamischen Gotteskrieger ermöglichte es ihnen, immer weitere Anschläge zu verüben. Selbst nach der Tötung bin Ladens (am 2. Mai 2011) und Omars (am 23. April 2013) ging der Terror weiter. Nicht zuletzt deshalb, weil es den USA nirgendwo gelang, anstelle der gestürzten Regime neue staatliche Strukturen zu errichten. So wurden die gescheiterten Staaten zu Nährböden für neue Terrororganisationen.
Zur bekanntesten und furchterregendsten dieser neuen Organisationen stieg der „Islamische Staat“ (IS) auf, der sich bereits 2003 nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak gegründet hatte, bis zum weitgehenden Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 jedoch weitgehend unbedeutend blieb. Zu diesem Zeitpunkt, zehn Jahre nach „Nine/Eleven“, hatten die Amerikaner längst begriffen, dass ihre Kraft nicht ausreichen würde, der ganzen Region ihren Stempel aufzudrücken.
Strategische Fehler des Westens
Zu einem der größten strategischen Fehler des Westens in den letzten zwei Jahrzehnten wurde der Umgang mit dem „Arabischen Frühling“. Als Ende 2010 und im Frühjahr 2011 zahlreiche Proteste und Aufstände gegen die Despotien des Nahen Ostens und im Norden Afrikas ausbrachen, ließen sich die USA und ihre Verbündeten gleichermaßen von der Sehnsucht der dortigen Völker nach Freiheit wie auch von dem Wunsch hinreißen, endlich mit alten Gegnern wie den Diktatoren Baschar al-Assad in Syrien oder Muammar al-Gaddafi in Libyen abrechnen zu können.
Doch an die Stelle der Potentaten traten keine Demokratien, sondern neue machtpolitische Vakuen. Während Libyen zerfiel und alsbald zur Durchgangsstation für die Migrantenströme aus Afrika nach Europa wurde, wurde Syrien zum Schauplatz eines grausamen Bürgerkriegs, der Hunderttausende außer Landes trieb und – zusammen mit dem Irak zum Nährboden für den Aufstieg des IS wurde. Dieser trat noch einmal deutlich brutaler auf, als es Taliban und al-Qaida je getan hatten: mit der grausamen Ermordung „ungläubiger“ Männer, der Versklavung eroberter Frauen, der Zerstörung alter Kulturstätten wie in der syrischen Oasenstadt Palmyra bis hin zur Live-Übertragung bestialischer Morde in den sozialen Medien.
Fast wäre es den Terroristen gelungen, tatsächlich einen eigenen Staat zu gründen. Dass es dazu nicht kam, lag nicht etwa an den aufgewachten Führern des Westens – der schon damals kriegsmüde war – sondern an dem beherzten Eingreifen der Russen 2015, die bereit waren, ihren Verbündeten in Damaskus Assad um jeden Preis zu halten.
Wendepunkt der Weltgeschichte
Die US-Amerikaner, so scheint es, die nach dem Zweiten Weltkrieg und dem damit verbundenen Niedergang der alten europäisch geprägten Welt in weiten Teilen der Erde ihre eigene Friedensordnung durchsetzen konnten (samt kultureller Hegemonie), scheinen jenen Zustand erreicht zu haben, den der britische Historiker und Politologe Paul Kennedy in seiner großen Studie über den „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ im Jahre 1987 „imperiale Überdehnung“ genannt hat. Die Präsenz auf immer mehr Konfliktschauplätzen bindet zunehmend personelle und materielle Ressourcen zur gleichen Zeit, bis irgendwann eine im Einzelnen unschlagbare Macht im Ganzen überfordert ist.
Zu den strategischen Dilemmata der Amerikaner und ihrer Verbündeten gehörte von Beginn an der Irrglaube, den Krieg gegen den Terror mit den Maßstäben der westlichen Welt führen zu können. Ob die Afghanen und all die anderen Völker in den Einsatzgebieten unsere Werteordnung überhaupt wollten, wurde nie gefragt. Die Antwort geben sie derzeit in Kabul.
Umso fataler wirkten sich die bekanntgewordenen Menschenrechtsverstöße der US-Amerikaner aus: die Praxis der „erweiterte Verhörmaßnahmen“ genannten Foltermethoden wie das „Waterboarding“ oder die Entführung von Terrorverdächtigen und deren Internierung in exterritorialen Gefängnissen wie Guantanamo oder die 2004 bekanntgewordene Folter gefangener irakischer Kämpfer im Gefängnis Abu-Ghuraib. Der ungewinnbare Krieg, in dem die USA nach „Nine/Eleven“ anfangs noch das Mitgefühl großer Teile der internationalen Staatengemeinschaft hatten, verlor mit jeder neuen Enthüllung ein Stück moralischer Rechtfertigung.
Folgen für Deutschland
Für die Bundeswehr brachte der fast zwanzigjährige Krieg trotz des oftmaligen Allein-Gelassen-Werdens durch die Politik einen enormen Professionalisierungs- sowie auch Normalisierungsschub. Neben der Gewöhnung an das Wort „Gefallene“, über dessen Rückkehr in den öffentlichen Sprachgebrauch anfangs heftig debattiert worden ist, gehört dazu die Erkenntnis, dass auch die Deutschen nicht frei von Fehlern sind. So war es der Bundesnachrichtendienst, der – auf Basis von Falschaussagen seines Informanten Rafid Ahmed Alwan El-Dschanabi alias „Curveball“ – den US-Amerikanern die gefälschten Informationen lieferte, auf deren Basis sie 2003 in den Irak-Krieg zogen. Im September 2009 gab Oberst Georg Klein den fatalen Befehl zu einem Luftschlag bei Kundus, bei dem nicht die vermuteten Taliban-Kommandeure, sondern rund 80 Zivilisten getötet wurden. Und im Juni 2013 enthüllte der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, dass auch der BND Teil eines weltweiten Abhörnetzwerks des US-Dienstes NSA ist, das unzählige Bürger ohne Rechtsgrundlage und richterlichen Beschluss ausspionierte.
Die Ergebnisse dieses endlosen Kämpfens sind in Zahlen schwer zu fassen. Einer Studie der Brown University in Rhode Island zufolge wurden während des Krieges gegen den Terror weltweit zwischen 879.000 und 929.000 Menschen direkt getötet – davon etwa 387.000 Zivilisten. Die Organisation der Ärzte für die Verhinderung eines Atomkriegs kommt in ihrer Untersuchung gar auf über eine Million Tote. Demgegenüber stehen die Opfer des weltweiten Terrors. Allein 8302 Anschläge (wohlgemerkt nicht Personen, sondern Attentate!) weist das Portal „statista.com“ für 2020 aus. Seit 2006 waren es über 260.000 (!) Anschläge. Wenn in diesen Zahlen auch politische Attentate verschiedenster Couleur enthalten sind, so stellt der Terror im Namen des Islam unstrittig die größte Bedrohung dar. 2019 etwa wurden allein von den Taliban 1459 Attentate mit 13.964 Todesopfern ausgeführt, gefolgt vom „Islamischen Staat“ mit 575 Anschlägen und 2770 Toten sowie von al-Shabaab mit 484 Attentaten und 2637 Getöteten.
Die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre zeigen zweierlei: dass der Krieg gegen den Terror a) kaum etwas gebracht hat und dass er b) dennoch ohne Alternative ist, wenn man das Feld nicht den Terroristen überlassen will. Die Frage ist jedoch, ob der Westen noch gewillt ist, diesen Krieg zu führen – und ob er die richtigen Anführer dafür hat. Als Ende Juni die Bundeswehr-Mission am Hindukusch offiziell endete, reiste niemand aus dem politischen Berlin zum Luftwaffenstützpunkt Wunstorf, um die Heimkehrenden zu begrüßen. Als sechs Wochen später die afghanische Hauptstadt in die Hände der Taliban fiel und die Bundeswehr spontan zu einem Evakuierungseinsatz nach Kabul musste, war die Truppe wieder einmal gut genug für die Rolle der Feuerwehr. Das lässt den Schluss zu, dass das Bewusstsein für den Ernst der internationalen Lage nicht sonderlich ausgeprägt ist.
Jan Kerzel am 15.09.21, 14:24 Uhr
Daniel Deutsch. Alles gefälscht. Donnerwetter. Bitte Beweise und Quellen nennen. Man lernt gerne dazu.
Chris Benthe am 10.09.21, 15:19 Uhr
Gute Zusammenfassung, danke.
Daniel Deutsch am 10.09.21, 09:46 Uhr
"Im September 2009 gab Oberst Georg Klein den fatalen Befehl zu einem Luftschlag bei Kundus, bei dem nicht die vermuteten Taliban-Kommandeure, sondern rund 80 Zivilisten getötet wurden."
Das Ding wurde doch längst als Talibanpropaganda entlarvt. Nichts mit unschuldigen Zivilsten, alles gefälscht.